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Sie sagte, ich hätte Parasiten. Ich spüre in meinem Darm nach, ob ich kleine saugende Impulse wahrnehme. Ich merke nichts und fühle mich plötzlich sehr gesund. Trotzdem frage ich, mich für klug haltend, nach: „Und wo kommen diese Parasiten her?“ Während ich das frage fällt mir ein, dass ich noch nicht gelernt hatte, bei kritischen Fragen meinerseits die Antwort des Gegenübers abzuwarten. Also höre ich mich sagen: „Das sind dann so Parasiten, die im Salat rumsitzen, oder so?“ Mit einem wortlosen Nicken wird mir meine Antwort prompt bestätigt. War ja klar, denke ich mir und beantworte mir auch gleich die Frage danach, wie es mit diesem vermutlich sehr frei interpretierten Parasitenbefall weitergehen würde: Darmsanierung. Mein Fortbestehen als funktionsfähiger Mensch hing nun an Essenzen und Extrakten aus Bärentraubenblättern, Knoblauchknollen, Grapefruitsamen, Berberitzenwurzel, Niembaumblättern, Olivenbaumblättern, Oreganoblättern, Orangenschalen, Mahonierinde, Zimtrinde, Gewürznelkenblüten, Pfefferminzblättern, Caprylsäure und Undecylensäure. Ich frage mich, wie es den Parasiten ergehen wird, die eine Unverträglichkeit für Knoblauch und Pfefferminz haben. Ersticken sie an einem allergischen Schock? Um auf Nummer sicher zu gehen, wird mir Waterboarding empfohlen, das sich in diesem spezifischen Fall Hydro Colon nennt. Für alle, die sich ein entspanntes Po-Loch beim analen Lustspiel wünschen: Trainieren Sie mit Hydro Colon! Erfrischt, stimuliert und ertränkt Parasiten. Während der dazugehörigen Bauchmassage wird der Abtransport der Fäkalien fachkundig und wertschätzend kommentiert. Die Diät ist simpel wie einfach - teuer nämlich. Merksatz eins: Gemüse, Fleisch, Fisch, Kerne, Körner, Samen gehen immer. Merksatz zwei: Zucker, Obst, Wurst, Getreide gehen nimmer. Merksatz drei: Über Kuhmilch schweige lieber. Mit verschiedenen digitalen und analogen Tabellen kalkuliere ich meine Kosten und meine Gesundheit. Präparate und selbstgebackenes Wunderbrot kosten mich drei Euro pro Tag. Ich denke daran, dass ich studiere und daran, dass Bescheidenheit für mich bedeutet, mich an einem Hartz IV-Einkommen zu orientieren. In Wahrheit hat das jedoch nichts mit Bescheidenheit zu tun, sondern mit der Realität: Pro Tag stehen mir fünf Euro zur Verfügung. Für Essen, Trinken, Kleidung, Freizeit. Wo ordne ich da Gesundheit ein? Jedenfalls bleiben zwei Euro pro Tag. Ich nehme die Herausforderung an und den wachsenden Dispo. So sehr ich an der Verstetigung meines neuen Lebens arbeite, erscheint es mir ebenso sehr suspekt bis an mein Lebensende Präparate und Wunderbrot zu konsumieren. Ich fühle mich abhängig. Ich entwickle neue Kontrollzwänge. Als ob ich davon nicht schon genug hätte. Ich bin müde. Gesundheitsmüde. Ich hätte gern meine Parasiten wieder. Als Weggefährtinnen durch dieses anstrengende Leben, denke ich, während ich Sex habe. Der Gesundheit zu liebe gehe ich direkt danach pinkeln, schenke mir einen Whiskey ein und rauche dazu auf dem Balkon eine selbstgedrehte Zigarette. Ich freue mich auf meinen Kaffee am kommenden Morgen und versichere mir auf diese Weise, dass da ein Morgen sein wird. Karl Kraus hatte recht: Gesund ist man erst, wenn man wieder alles tun kann, was einem schadet.