465woerter

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Ich habe Angst vor der Vertikalen. Die Wege des Alkohols sind unergründbar. In der Horizontalen jedoch wesentlich besser erträglich, so scheint es mir. Wie soll ich eine Geschichte schreiben, an die ich mich nicht erinnere? Aus der ich aufwache, mit tränenüberströmtem Gesicht am Tisch sitzend, Deine Hand auf meinem Arm, der Versuch eines vertrauenerweckenden Blickes Deinerseits. Ich, wohl wissend, dass ich mich in die Horizontale begeben sollte, da die Vertikale zu nichts führt außer Selbstmitleid. Die Nacht war legendär, mein verheultes, versoffenes Gesicht im Badezimmerspiegel nur ein erhobener Zeigefinger.

Selten habe ich in einem fremden Bett so gut geschlafen. Vielleicht noch nie.

Beim morgendlichen Kaffee wollte ich Dich fragen, ob Du glaubst, dass Küssen gegen den Kater hilft – da ja schließlich beides mit ‚K’ anfängt. Ich spinne die Szene in meinem Kopf weiter und sie funktioniert nicht. Genauso wenig wie die Szene funktioniert, in der ich meine Hand in die Nähe Deiner Hand bewege, in der Hoffnung, dass Du verstehst, was ich Dir damit sagen will. Und schon wo ich das denke, frage ich mich, wie ich je auf die Idee gekommen bin, die Pubertät hinter mir gelassen zu haben.

Ich stehe orientierungslos vor Deinen Büchern, warte darauf, dass sie mich retten. Ich warte darauf, dass das richtige herausfällt und Dir meine Faszination für Dich mitteilt. Wer bist Du? Wenn ich Dich studieren kann, kann ich mir selbst eine weitere Dimension hinzufügen. Ich bin neugierig auf Dich, weil ich verstehen möchte, wie Du funktionierst. Mich kenne ich schon, aber Dich noch nicht. Mein ganzes Ich lege ich in Dich hinein. Ich schreibe Dich, um Dich zu leben. Das bedeutet, es kann immer nur meine Geschichte sein. Ich kann Dich dort hineinschreiben, aber eigentlich bleibe ich es, die in der Geschichte ist. Meine Geschichten mit Dir sind fertig. Die eine, in der wir innige Gefährten sind, die apollinisch platonisch nebeneinander her leben. Die andere Geschichte, in der wir Bonnie und Clyde sind, in der wir einander lieben und hassen, von dionysischen Eskapaden durchtränkt, unser ganzes Leben lang. Die letzte Geschichte, in der wir uns ein wenig Magie erlauben, aus Versehen, weil wir die Realität vergaßen. Doch eigentlich sind wir Freunde. Was immer das heißen mag. Es wird heißen, dass wir unsere Zeit haben werden und die Nähe irgendwann von Distanz abgelöst werden wird, einfach weil es so ist. Weil dort andere Momente sind, andere Stunden, andere Tage, andere Menschen, andere Wege. Wir werden zu einer Episode, an die wir gern zurückdenken, weil man das so macht mit Momenten und Geschichten.

Werde ich an Langeweile und mir selbst sterben? Wie soll ich das überleben, wenn es ewig so weitergeht? Natürlich kann man es vorher nie wissen, man weiß es immer erst hinterher. Was kann schon passieren, wenn eine Geschichte mit einem „Ich mag dich“ beginnt?